Stille herrscht im Kalltal unweit der Ortschaft Vossenack in der Nordeifel. Nur das Vogelgezwitscher und sanfte Rauschen der Blätter aus dem umliegenden Wald sind an diesem frühlingshaften Maitag zu hören. Gemächlich durchzieht der Fluss Kall das zu beiden Seiten eng abfallende Tal. An einer schmalen Stelle des Flusses führt ein Wanderweg über eine kleine, unscheinbare Steinbrücke hinauf in den nächsten Ort, dem kleinen Dorf Schmidt. Es ist ein Ort der Ruhe und des Friedens. Kaum vorstellbar, dass vor über 70 Jahren genau an dieser Stelle einer der verlustreichsten Schlachten des 2. Weltkrieges auf deutschem Boden ihren Anfang nahm.
Nachdem die Alliierten im Juni 1944 in der Normandie gelandet waren, drängten sie die deutschen Besatzungstruppen aus Nordfrankreich zurück. Im Raum Aachen, vor der deutschen Verteidigungslinie des Westwalls, stockte der Vormarsch. Zwischen Aachen und Monschau wollten sie in einem Waldgebiet bei Hürtgen zur Rur durchbrechen. Die deutsche Wehrmacht sollte das Gebiet unbedingt halten, weil etwas weiter südlich bereits die geheim gehaltene Ardennenoffensive vorbereitet wurde. Im November 1944 begannen daraufhin mit der Allerseelenschlacht im Raum Vossenack die längsten Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges auf deutschem Boden. Erst im Februar 1945 gelang es den Amerikanern dieses Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen und den Weg in die Rheinebene fortzusetzen. Diese Schlacht erforderte aufgrund taktischer Fehl-einschätzungen und der schwierigen geografischen Lage tausende Opfer auf beiden Seiten.
Diesen weitgehend vergessenen historischen Hintergrund nahm die Reservistenkameradschaft Vechta Ende Mai 2015 zum Anlass, eine dreitägige militärhistorische Exkursion durchzuführen. Kameraden der RK Vechta sowie der RK Wildeshausen fuhren unter der Leitung von Unteroffizier d.R. Alexander Esser in das ehemalige zentrale Kampfgebiet der Hürtgenwaldschlacht nach Vossenack. Ziel der Exkursion war neben der Erkundung der historischen Kampfgebiete vor allem auch das Erinnern und Gedenken der unzähligen Toten der damaligen Kampfhandlungen. „Wir wollen uns vor Ort einen persönlichen Eindruck über das verschaffen, was sich damals hier zugetragen hat. Auch wenn es militärhistorisch sehr interessant ist, dürfen wir nicht vergessen, welches Leid sich im Hürtgenwald zugetragen hat. Aus diesem Grunde werden wir auch bewusst der Toten gedenken“, so Esser.
Unter der örtlichen Leitung von Stabsfeldwebel a.D. Hans-Jürgen Zesing und seines Partners David Hess vom Geschichtsverein Hürtgenwald e.V. erhielten die Reservisten eine fundierte militärhistorische Führung zu verschiedenen Orten der Allerseelenschlacht 1944. Neben einem detaillierten Vortrag zu den historischen Hintergründen der Hürtgenwaldschlacht, beeindruckte die Teilnehmer insbesondere der Rundgang durch das Museum des Geschichtsvereins. Zahlreiche Gegenstände, Fotos und Dokumente aus der damaligen Zeit ließen ein Gefühl dafür aufkommen, wie schwer und leidvoll für viele Soldaten und Zivilisten die damaligen Kämpfe gewesen sein mussten. Diese Empfindungen intensivierten sich bei der anschließenden Exkursion zu den Originalschauplätzen der Schlacht sowie der geografischen Erkundung der schmalen und tiefen Talabschnitte. Ehemalige Kampfgebiete wie der Kalltrail zwischen Vossenack und Schmidt, wo der Versuch der Amerikaner, Panzer auf einem schmalen Pfad über eine kleine Steinbrücke nachzuführen in einem Desaster endete oder die stark umkämpften Bunkeranlagen am Ochsenkopf in Raffelsbrand und am Burgberg Bergstein, wo heute noch Munitionsreste zu finden sind, vermittelte den Reservisten einen spürbaren Eindruck vom Schrecken des Krieges. Die Besichtigung von gut erhaltenen Verteidigungsanlagen des Westwalls, wie dem Sanitätsbunker in Simonskall sowie der betonierten Panzersperren, der sogenannten „Drachenzähne“ kurz vor der belgischen Grenze verstärkten diesen Eindruck. Bei einer abschließenden feierlichen Kranzniederlegung auf der Kriegsgräberstätte Vossenack, der inmitten der einstigen Kampfgebiete angelegt wurde und auf dem 2.334 Kriegstote ruhen, gedachten die Reservisten der gefallenen Soldaten aller beteiligten Nationen.
Mit einem Besuch der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang oberhalb der Urfttalsperre beendeten die Reservisten ihre dreitägige Exkursion. Zur Ausbildung ihres Führernachwuchses und damit zur Fortführung der menschenverachtenden Ziele des NS-Regimes gründeten die Nationalsozialisten vier Ordensburgen in Deutschland. Eine davon war die Ordensburg Vogelsang in der Eifel, die zu einer bedeutenden Ausbildungsstätte der nationalsozialistischen Führungselite ausgebaut wurde. Die Ordensburg, nun als ‚Internationaler Platz’ bekannt, nimmt als Ort des aktiven Erinnerns an die Zeit des Nationalsozialismus heute einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag wahr. „Für uns Reservisten ist es wichtig, dass wir immer daran denken, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen im 2. Weltkrieg, insbesondere auch die im Hürtgenwald, irgendwo auch einen Ursprung hatten. Und einer dieser Orte ist die Ordensburg Vogelsang“, stellt Esser dar und verweist darauf, dass es neben vielen Opferorten des NS-Regimes auch Täterorte gab, in denen die menschenverachtende Weltanschauung indoktriniert wurde.
Mit zahlreichen prägenden Eindrücken beendeten die Reservisten ihre Exkursion im Bewusstsein, dass das Erleben von Zeitgeschichte und historischen Zusammenhängen am Ort der Geschichte am besten gelingt.
Zum Schluss danken wir unserem Kameraden Esser für die Idee, die hervorragende Organisation und Durchführung!
Text und Fotos: Neumann, RK Vechta